Von der Terrasse der Brennerei sehen wir die Paps of Jura auf der anderen Seite des Sunds. Drei Gipfel sollen es sein, aber ins Auge fallen uns vor allem die beiden höchsten kahlen Berge. Jura ist eine schmale, lange Insel. Ein Berg von 785 Metern Höhe wirkt mitten im Meer deutlich größer als im Binnenland. In Port Askaig kommt nicht nur die CalMac-Fähre von Kennacraig an, hier legt auch eine viel kleinere Fähre rüber nach Jura ab. Die Wartespur ist leer, die Fähre hat einen schlichten Tampen vor der Rampe. Niemand ist zu sehen. Noch 15 Minuten bis zur Abfahrt, behauptet der Fahrplan, der hinter beschlagenen Scheiben an einem Wartehäuschen hängt.
Zehn Minuten später schlurft ein älterer Herr um die Ecke, knöpft uns wortlos das Geld für die Tickets ab und geht wieder. Zwei Minuten vor Abfahrt startet die Fähre den Motor, der Tampen wird entfernt und hinter uns rauschen zwei Autos in die bis eben leere Spur. Wir sind schon auf der Fähre und werden aufgefordert, scharf links hintereinander an der Reling zu stehen. Es rumpelt kurz und heftig, die Fähre schaukelt ein wenig und neben uns steht ein fetter Traktor. Der Hinterreifen ist ziemlich groß so dicht neben der Africa Twin. Erst danach dürfen die beiden PKW auch noch mit an Bord.
Es ist viel Strömung im Sund, die Fähre wirkt gnadenlos untermotorisiert. Aber irgendwie kämpft sie sich an das andere Ufer und ich bin froh, dass dieser Monster-Trecker sich schnell verzieht. Jura ist etwa 50 Kilometer lang, aber hat, wenn ich Wikipedia Glauben schenken soll, nur etwa 200 Einwohner. Die Straße von der Fähre führt auch nur in eine Richtung: am Ufer entlang, über eine Anhöhe und in Richtung der Ortschaft Craighouse. Unser Ziel, die Distillery von Jura, liegt mitten in dem Dorf. Natürlich statten wir dem Visitor Centre und Shop einen Besuch ab. Besucher aus dem Ausland? Wir werden auf das Herzlichste begrüßt. Sind wir hier Exoten? Ein nettes Gespräch über das Woher und Wohin entspinnt sich.
Fünf Häuser weiter gibt es einen Eisdielen-Schnell-Imbiss-Pub - oder was auch immer das hier ist. Heute ist es so heiß, dass wir nicht auf der Terrasse sitzen mögen, sondern uns ins Innere in den Schatten verkrümeln. Kinder kommen an die Eistheke, Handwerker bestellen sich Fish & Chips und einen Pint Bier, ein älteres Ehepaar bevorzugt Kaffee und Kuchen. Vermutlich ist diese Kneipe für die Inselbewohner wichtiger als Facebook oder die Tageszeitung.
Unseren Versuch, nach der Pause weiter nach Norden über die Insel zu fahren, brechen wir nach wenigen Kilometern ab: Da kommt nichts mehr außer Landschaft und noch mehr Landschaft. Kein Wunder, dass Jura ein Paradies für Hirsche zu sein scheint. Die Straße ist so einspurig, dass in der Mitte der Fahrspur schon Gras aus dem Asphalt wächst. Zurück auf Islay gönne ich mir am Abend einen 18-jährigen Jura als "Night Cap". Vermutlich kostet das Glas in der Bar fast soviel wie zuhause eine Flasche. Ich will das gar nicht wissen und lasse den Dram auf die Zimmer-Rechnung setzen.
Vor der Rückfahrt auf das Festland machen wir von Port Ellen noch einen Abstecher an die Ostküste der Insel. Ardbeg und Laphroaig wetteifern mit Bruichladdich von der anderen Seite der Insel um den torfigsten Whisky. Wir entscheiden uns spontan für einen Besuch bei Ardbeg, vielleicht, weil die Anlage mit ihren Türmchen so pittoresk aussieht. Was für ein Unterschied zu dem Visitor Centre auf Jura! Ein großer Laden mit Gedöns, von Grillhandschuhen über häßliche Zierteller bis zu Küchenschürzen, alle mit dem eigenen Logo verziert. Immerhin, es gibt ein kühles Café mit Schokoladen-Kuchen, der lecker aussieht - bis zum ersten Bissen. "Da sind ja Marshmallows drin", tönt es entsetzt von gegenüber. "Ja, mit Minz-Geschmack", stöhne ich. Jetzt könnte ich wirklich einen Whisky gebrauchen, um den Geschmack wieder aus dem Mund zu bekommen.